← ← ←Die Grazer Nuntiatur (1580-1622) digital
Digitale Edition „Grazer Nuntiatur“
In Zusammenarbeit mit dem ACDH (Austrian Center for Digital Humanities) und dem IHB (Institut fuer die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes) wurde der erste Band der „Grazer Nuntiatur“ digitalisiert und als Online-Edition aufbereitet, die auf der Homepage der beteiligten Institute öffentlich zugänglich ist. Die Digitalisierung weiterer Bände ist derzeit in Vorbereitung.
Die von Papst Gregor XIII. 1580 gegründete und bis 1622 bestehende Nuntiatur in der innerösterreichischen Residenzstadt Graz stellte in der frühen Neuzeit neben der Nuntiatur am Kaiserhof die einzige diplomatische Vertretung des Heiligen Stuhles in den habsburgischen Erbländern dar. Sie wurde als ständige Nuntiatur am weltlichen Fürstenhof der innerösterreichischen Linie der Habsburger, der Erzherzöge von Innerösterreich, eingerichtet und von Papst Gregor XV. aufgelöst, nachdem Erzherzog Ferdinand als Kaiser (Ferdinand II.) den Hof endgültig nach Wien verlegt hatte. Die in den 42 Jahren des Bestehens der Grazer Nuntiatur aktiven sechs Nuntien (Germanico Malaspina 1580-1584, Giovanni Andrea Galigari 1584-1587, Girolamo Portia 1592-1607, Giovanni Battista Salvago 1607-1610, Antonio da Ponte 1610-1613, Erasmo Paravicini 1613-1622) berichteten wöchentlich, in italienischer Sprache an das päpstliche Staatssekretariat, das mit entsprechenden Weisungen darauf antwortete. Als Nuntiatursprengel galt in erster Linie das Länderkonglomerat Innerösterreich, bestehend aus der Steiermark, Kärnten, Krain, Görz, Triest und den habsburgischen Besitzungen in Istrien, darüber hinaus führten einzelne Aufträge der Kurie die päpstlichen Diplomaten auch in den süddeutschen Raum.
Die Edition des Schriftverkehrs der Grazer Nuntiatur ist Teil eines international traditionsreichen Forschungsunternehmens, mit dem sich seit der Öffnung des Vatikanischen Geheimarchives im Jahr 1881 zahlreiche wissenschaftliche Institutionen beschäftigen. Bisher sind in der Reihe der Grazer Nuntiaturberichte, veröffentlicht in der Reihe der Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom, fünf Bände erschienen, die die Jahre 1580-1587 und 1592-1602 umfassen. Bis zur Auflösung der Nuntiatur sind noch weitere sechs Bände geplant.
Die kritische Volltextedition des vorwiegend italienischen Schriftverkehrs der Grazer Nuntiatur bietet Einblick in die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen, konfessionellen und sozio-kulturellen Fragen der Zeit auf lokalem, regionalem sowie überregionalem Niveau, die vor allem für den jungen Landesfürsten Erzherzog Ferdinand auch in Hinblick auf seine spätere Regierung als Kaiser Ferdinand II. prägend waren. Für ihn war Innerösterreich gewissermaßen ein “Experimentierfeld”, in dem er mit den dominierenden Problemen der frühen Neuzeit konfrontiert wurde. Vor allem die vorherrschende osmanische Bedrohung an den innerösterreichischen Landesgrenzen und das damit im Zusammenhang stehende Problem der Finanzierung der Abwehr und Grenzsicherung stellte für den jungen Landesfürsten eine Herausforderung dar. Daneben wirkte Erzherzog Ferdinand der sich zunehmend ausbreitenden Reformation durch Verordnungen zur Rekatholisierung und inneren kirchlichen Reform Innerösterreichs entscheidend entgegen – ein Vorgang, den er nach seiner Thronbesteigung als Kaiser Ferdinand II. auf die Gesamtheit der habsburgischen Länder Mitteleuropas übertragen sollte.
Der Schriftverkehr der Grazer Nuntiatur stellt ein weitestgehend unbekanntes und bisher kaum berücksichtigtes diplomatisches Quellenmaterial dar, das sich im Wesentlichen im Vatikanischen Geheimarchiv (Archivio segreto Vaticano) und der Vatikanischen Bibliothek (Biblioteca Apostolica Vaticana) befindet. Ergänzende Akten sind in in- und ausländischen Archiven und Bibliotheken erhalten und werden für den Sachkommentar herangezogen. Inhaltlich reicht der Informationsgehalt weit über die engere Religionsgeschichte hinaus und muss als bedeutende ergänzende Quelle für die Geschichte Europas um 1600 angesehen werden. Sie bietet Einblick in eine Vielzahl von Themenfeldern und stellt somit einen wesentlichen Beitrag zu aktuellen wissenschaftlichen Diskussionen dar, wie zum Beispiel der Höfe-, Netzwerk-, Patronage- und Karrierenforschung sowie der Behördengeschichte, wie auch zu den internationalen Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Hervorzuheben ist vor allem die Konzentration auf die innerösterreichische Linie der Habsburger, die trotz ihrer Bedeutung für die Geschichte der Habsburgermonarchie in den letzten Jahrzehnten kaum Beachtung in der Forschung erfahren hat.